Tagung: Das Ende des Berufs
Auf welche Herausforderung reagiert das Projekt?
Andree Burke führte in die Fragestellung ein, indem er den Status und die Funktionen der Kirchenberufe Pastoralreferent_in (PR) und Gemeindereferent_in (GR) konzeptionell in den Berufsbegriff der 1950er bis 1970er Jahre einordnete, also in den Zeitraum, in dem der eine Beruf (PR) entstand und der andere (Seelsorgehelferin bzw. GR) wesentlichen Transformationen unterlag. Zwischenzeitlich hätten sich auch andere Konzepte zur gesellschaftlichen Organisation des Erwerbslebens entwickelt, die zugleich in bildungswissenschaftlichen Diskursen die Behauptung einer Krise oder gar des Endes des Berufs ausgelöst hätten. Infrage stehe, ob nicht auch kirchlich-pastorale Erwerbstätigkeit sich von diesen Entwicklungen inspirieren lassen müsste und sich insbesondere anlässlich eines bereits spürbaren kirchlichen Fachkräftemangels neue Formationen von Beruflichkeit in der Kirche bedenken ließen.

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In ihrer Keynote bestimmte Anna Rosendahl, was mit der These vom Ende des Berufs oder der Krise des Berufs gemeint ist. Sie stellte heraus, dass in den 1970er und 80er Jahren unter Bezug auf Schlüsselqualifikationen eine Flexibilisierung des Berufsausbildungssystems angezielt wurde, in den 90er Jahren die Kompetenzorientierung und Ansätze wie die duale Ausbildung entwickelt wurden und in den 2000er Jahren mit dem politischen Konzept der Employability eine Angleichung des Bildungssystems auf europäischer Ebene vollzogen worden sei. Durch das Employability-Postulat seien, anders als im deutschen Qualifikationskonzept, erlernte Berufe und ausgeübte Beruflichkeit voneinander entkoppelt worden. Im Zuge des aktuellen Fachkräftemangels sei davon auszugehen, dass Berufe zwar nicht irrelevant werden, aber es sei eine Lockerung von Zugangs- und Ausübungsvorschriften in verschiedenen Tätigkeitsfeldern zu erwarten.
Ein erstes Panel „Anfänge und Neuformierungen der pastoralen Berufe – historische Perspektiven auf die 1960er und 1970er Jahre“ stellte daraufhin die Situation von GR, PR und Priestern in diesem Zeitraum als kirchengeschichtlichen Lernort vor.
So konnte Daniela Blank herausstellen, wie der GR-Beruf einerseits in Kontinuität zum Beruf der Seelsorgehelferin stand, andererseits in wesentlichen Fragen – etwa in der Öffnung des Berufs für Männer – neue Wege beschritt. Dabei kristallisierte sich ein Verständnis vom GR-Beruf als einem Lebensberuf heraus. Andreas Henkelmann zeigte die Bedeutung des Theologiestudiums auf, das die zentrale Zugangsbedingung für den PR-Beruf darstellt. Er stellte heraus, dass Laien bereits Ende der 1920er Jahre das Theologiestudium aufnahmen und beschrieb die Präsenz von Laien in der akademischen Theologie als Ausdruck religiöser Selbstermächtigung, wobei sich diese Präsenz ab der Mitte des 20. Jahrhunderts nach und nach normalisierte.
Wo stehen die Berufsgruppen heute?
Sandra Frühauf und Alexander Buerstedde zeichneten Versuche der 1960er und 1970er Jahre nach, die Totalrolle des Priesters zu überwinden. Lewis A. Cosers Analytik gieriger Institutionen folgend beschrieben sie aber auch strukturelle Beharrungstendenzen im Totalzugriff auf Personen, sofern Priestern bspw. wegen des Zölibats „eine vorbehaltlosere Hingabe an den Dienst“ (Döpfner) zugeschrieben wurde als anderen Mitarbeitenden in der Pastoral. In der anschließenden Diskussion der drei Beiträge wurde festgehalten, dass Laien als „Türöffner“ für Transformationen der kirchlichen Sozialgestalt geschichtlich keine Ausnahmeerscheinungen seien. Begreift man diese Türöffner-Erfahrungen als Lernorte der Kirchengeschichte, dann sei gegenwärtig darauf hinzuwirken, dass mutige Neuerungen im Einzelnen nicht durch die Aufrechterhaltung alter Ordnungen verhindert werden.
Im zweiten Panel „Wo stehen die Berufsgruppen heute? Empirische Wahrnehmung und theologische Deutung“ konnten Forschungsergebnisse zur gegenwärtigen Situation der beiden Berufe gesammelt und mit einer exemplarischen Situation religiöser Deinstitutionalisierung gegenwartsanalytisch kontextualisiert werden. Von der ForscherInnengruppe der aktuellen GR-Studie (https://projekte.lumos.ac/gr-studie/) nahmen Ulrich Feeser-Lichterfeld, Patrick Heiser und Jennifer Jung teil. Ulrich Feeser-Lichterfeld stellte zentrale Ergebnisse vor. Auf Basis dessen konnte er Tätigkeiten von GR als „liquid jobs in a liquid church“ rekonstruieren. Gemeint sei damit, dass unterschiedliche Typen im Berufs- und Selbstverständnis der GR – die Forschungsgruppe spricht von sozialdiakonischen, gemeindebezogenen und reformorientierten Berufsverständnissen – profilspezifische Formen der Tätigkeitsausübung zur Folge habe. Im Ergebnis plädierte Feeser-Lichterfeld damit für eine professionelle Entprofessionalisierung professioneller Praxis.
Konstantin Bischoff stellte empirische Studienergebnisse zur Situation der PR aus seiner Dissertation vor. Demnach sei für deren berufliche Wirksamkeit die Haltung entscheidend. Zugleich entdeckte er in der akademischen Theologie einen wichtigen Resilienzfaktor im kirchlichen Handeln. Unabhängig von der Frage nach der Zukunft des Berufs der Pastoralreferent_innen plädierte Bischoff so für die Bedeutung von in der Pastoral tätigen akademisch geschulten Theolog_innen. Stefan Gärtner kontextualisierte pastorale Beruflichkeit im Angesicht radikaler religiöser Deinstitutionalisierung am Beispiel der Niederlande. Dabei zeichnete er den beinahe vollständigen Rückgang institutioneller Kirchlichkeit in den Niederlanden binnen einer Generation nach. In der Folge hätten sich Ressourcenkämpfe entwickelt, die innerkirchlich zuungunsten kirchlicher Laienberufe ausfielen. In der Kategorialseelsorge hingegen gebe es von Laien verantwortetes pastorales Engagement, das allerdings mit einer Anstellung durch den Staat verbunden sei.
In der anschließenden Diskussion kamen u. a. Konkretisierungen zu Verflüssigungsprozessen kirchlicher Beruflichkeit ins Wort. Auch die Bedeutung des Verständnisses von „pastoral“ als Beschreibung einer Dienstleistung oder als kriteriologische Größe für Entdeckungsvollzüge wurde diskutiert.
zap:leiter Szymanowski spricht über Rollenkompetenzen
Mit dem dritten Panel wurde die Frage „Braucht man für Pastoral pastorale Berufsgruppen?“ nun konkret aufgeworfen. Jan Loffeld hinterfragte in seinem Vortrag, ob das Problem, das mit der Frage des Panels thematisiert werde, nicht auch von der ungelösten Frage nach den Zulassungsbedingungen zum Weiheamt bedingt werde. Er optierte für eine Vielfalt von Diensten, unabhängig von deren beruflichem Status, und sprach sich dabei dafür aus, generell von SeelsorgerInnen zu sprechen.
Björn Szymanowski beschrieb „Pastoral“ angesichts der Fülle von aktuellen Krisenerscheinungen als eine „adaptive Herausforderung“, die nur mit adaptiven organisationalen Kompetenzen verlässlich bearbeitbar sei. Daher sei es wichtig, Rollenkompetenz zu fördern; dies sei entscheidender für eine qualitätsvolle Pastoral als deren Organisation in Berufsgruppen. Friederike Erichsen-Wendt stellte einige Parallelen in der Professionalisierung des evangelischen Pfarrer_innenberufs und dem bis dahin Gesagten über Geschichte und Gegenwart des PR- und GR-Berufs heraus. Bspw. sei über die „Totalrolle“ evangelischer Pfarrer_innen ebenso zu debattieren, wie es im ersten Panel katholischerseits anklang. Pfarrer_innen sollten so ausgebildet sein, dass sie einen Einsatz als „personale Gelegenheitsstruktur“ gestalten könnten. Hierzu reiche allerdings die alleinige Präsenz vor Ort nicht mehr aus. Der Performanzdruck steige auch in der evangelischen Kirche spürbar an. In der anschließenden Diskussion wurde kritisch angemerkt, dass der Unterschied zwischen Pastoral- und Religionsgemeinschaft nicht ausreichend Berücksichtigung in den Entwürfen zur Konkretisierung pastoraler Beruflichkeit gefunden habe.
Zwei zwischenzeitliche Kommentierungen seitens der Berufsgruppenvertretungen PR (Hubertus Lieberth) und GR (Regina Nagel) zeigten auf, dass deren eigene Verletzungsgeschichte noch nicht ausreichend aufgearbeitet ist, um selbstreflexiv die Wirksamkeit der jeweiligen Berufsgruppe reflektieren zu können. Zum einen wurde verdeutlicht, dass ein Ringen um das Berufsprofil der Berufsgruppen inzwischen zumindest auch als belastend erlebt wird. Zum anderen ließen die Kommentare erkennen, dass Seelsorge-Praktiken sich auch außerhalb kirchlicher Beruflichkeit organisieren ließen.
Ein Abschlusspodium nahm die Perspektiven von Personen in den Blick, die in eigener (angestrebter) Berufstätigkeit von konzeptionellen Veränderungen kirchlicher Beruflichkeit betroffen wären. Sophia Spieth und Joshua Mues brachten Positionen der Interessenvertretung Interessierter am Beruf Pastoralreferent_in (IPRI) ein, Andrea Qualbrink (Pastoralentwicklung, Bistum Essen) und Katja Schmitt (Personalentwicklung und Ausbildungsleitung, Erzbistum Hamburg) konnten sich aus einer diözesanen und insofern arbeitgeberseitigen Sicht beteiligen. Matthias Gabriel Beckmann vom Netzwerkbüro Theologie & Beruf an der WWU Münster sprach aus einer Scharnierperspektive, die sowohl Interessen Studierender wie auch derer von Arbeitgebenden im Blick hat. Andree Burke moderierte.
Fünf Zukunftsszenarien
Dem Podium wurden eingangs fünf Szenarien zur Gestaltung kirchlicher Beruflichkeit im Ausgang der bildungswissenschaftlichen Diskurse zur Krise des Berufs vorgestellt, die im Laufe des Fachgesprächs mehr oder weniger explizit angesprochen wurden, und von den beiden Organisatoren der Veranstaltung, Andree Burke und Andreas Henkelmann, formuliert worden waren:
I. Es bleibt alles wie bisher.
II. Es bildet sich eine einzige, neue, fluide pastorale Berufsgruppe.
III. Es gibt keine eigene pastorale Berufsgruppe mehr, sondern Kirche organisiert einzelne kirchliche Vollzüge in diversen Jobs (mit entsprechender Rollenkompetenz in Haupt- und Ehrenamt).
IV. Akademisch gebildete Theolog_innen bilden kirchliches Hauptamt, alle anderen Dienste und Ämter finden ehrenamtlich statt.
V. Seelsorger_innen werden von nichtkirchlichen Organisationen, Institutionen oder Körperschaften angestellt, und es gibt vereinzelt katholische Kerngemeinden mit „echten“ katholischen Pfarrern.
Auf die Frage hin, welches Szenario die Gesprächsteilnehmenden auf dem Podium präferieren, ergab sich eine größere Schnittmenge bei Szenario III. Begründet wurde dies theologisch vor allem mit dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften und organisationslogisch mit der Möglichkeit zur Einrichtung aufgabenorientierter (und nicht berufsständisch organisierter) Stellen, die je auf konkrete Bedarfe in je konkreten Situationen reagieren können. Im Einzelnen wurde auch Szenario V insofern für interessant befunden, als sich darin ein Qualitätserweis gelingender Pastoral entdecken ließe: Wenn spezialisierte „Pastoral“ so wirksam sei, dass Organisationen, Institutionen oder Körperschaften dafür Personal finanzieren würden, dann erwiese sie sich dadurch als tauglich, einen relevanten gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.
Insgesamt spiegelt sich in dieser Tendenz ein wichtiges Ergebnis des Fachgesprächs im Ganzen. Mit den Szenarien wurden einerseits fünf zumindest denkbare strategische Optionen für Ziele kirchlicher Organisationsentwicklung im Angesicht der Transformationen der gegenwärtigen Arbeitsgesellschaft und angesichts einer tiefgreifenden Kirchenkrise herausgearbeitet. Andererseits deutet sich schon an, dass deren Konkretisierung in der Organisation kirchlicher Beruflichkeit ohne ihre Weiterentwicklung hin zu je konkreten, zeitlich gebundenen und situationsbezogenen Tätigkeiten kaum auskommen wird. Jedenfalls muss die Passung des Konzeptbegriffs „Beruf“ im Sinne seiner Formatierung als ständische lebenslange Erwerbsvariante für kirchlich-pastorale Beruflichkeit letztlich als infrage gestellt angesehen werden.
Bericht: Dr. Andree Burke & Prof. Dr. Andreas Henkelmann